Im Zuge der Verbreitung des Marketing 3.0 rückte der Mensch ins Zentrum. Im Fokus steht also nicht mehr das Produkt an sich, sondern die Beziehung zwischen Kunde und Marke. Auf Social-Media-Kanälen arbeiten Marketingteams mit innovativen Werbeaktionen längst daran, die „Persönlichkeit“ der Firma in der Wahrnehmung von Usern zu etablieren. Mit der Betonung der Marke-Mensch-Beziehung, bei der sich der Kunde weniger für ein Produkt und viel mehr für eine Firma entscheiden soll, rückt ein Aspekt immer weiter in den Fokus: Reputation.
Die zwei Seiten von Reputation
Der Ruf der Marke wird zur wichtigsten Währung eines Unternehmens und hat direkten Einfluss auf Umsatz und Gewinn. Ein schlechter Ruf hingegen wirkt sich unmittelbar negativ auf Absatz- und Auftragsvolumina aus.
Grundsätzlich gliedert sich Brand Reputation in zwei wesentliche Aspekte:
1. Ist das Unternehmen vertrauenswürdig?
Die Vertrauenswürdigkeit bezieht sich auf die direkte Interaktion zwischen Unternehmen mit den Kunden oder auch Investoren. Ein gutes Beispiel ist das E-Commerce-Segment: Wirkt die Firma vertrauenswürdig, rechnet der Kunde damit, das erworbene Produkt bzw. die Dienstleistung unmittelbar und in der beworbenen Qualität zu erhalten. Je niedriger jedoch der sogenannte Trust Factor aus Sicht der potenziellen Käufer, umso geringer fällt der Identifikationsgrad des Kunden mit der Marke, und damit auch die Chance auf Absatz , aus. Vertrauen lässt sich jedoch über eine Vielzahl an Maßnahmen aufbauen: beispielsweise durch einen überzeugenden Onlineauftritt und gute Rezensionen auf der eigenen Webseite und – viel bedeutender – auf externen Bewertungsseiten.
2. Handelt das Unternehmen verantwortungsvoll?
Bei der zweiten Facette von Brand Reputation rückt die Beziehung zwischen Marke und Umwelt in den Fokus. Meist spricht man in diesem Zusammenhang von Corporate Social Responsibility (CSR). Grundlage für ein zeitgemäßes CSR ist eine als positiv zu bewertende Vertrauenswürdigkeit: Es kommt wohl kaum ein Unternehmen in den Sinn, welches Investoren und Kunden auf betrügerische Weise übervorteilt, sich aber durch glaubwürdiges und vorbildliches Engagement für Umweltschutz und Menschenrechte auszeichnet. Hier reicht es nicht aus, das Engagement faktisch zu belegen und intensiv an die Öffentlichkeit zu kommunizieren. Fehlt es an Vertrauen, werden Maßnahmen im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein – mindestens auf Seiten der Kunden – nicht als genuin empfunden.
Fallbeispiel Amazon: Schlechter Ruf muss kompensiert werden
Je globaler die Positionierung einer Marke, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Diskrepanz zwischen Kommunikation und Handeln als offensichtlich wahrnehmbar bewertet werden kann. So gilt Amazon in punkto Zahlungs- und logistischer Abwicklung gemeinhin als vertrauenswürdig: Käufer können sich sicher sein, bestellte Produkte vollständig und zeitnah zu erhalten und im Fall eines Defekten oder bei Nichtgefallen erfolgreich retournieren zu können. Gleichzeitig ist der Ruf der Affiliate-Platform ausgesprochen schlecht: Immer wieder gibt es Schlagzeilen über fragwürdige Arbeitsbedingungen, Steuervermeidungstaktiken und in die Insolvenz gezwungene, lokale Ladengeschäfte. Behaupten kann sich Amazon aufgrund seiner einzigartigen Marktstellung und den damit einhergehenden Einflussmöglichkeiten auf Preisdynamiken. Um den Opportunismus der Konsumenten zu aktivieren, muss Amazon deshalb einen unschlagbaren Mehrwert bieten – so geschehen bei Usability, Preispolitik und Lieferzeiten. Doch trotz aller Bemühungen entscheiden sich potenzielle Kunden immer wieder dafür, Amazon bewusst zu meiden oder ihre Nutzung der Plattform mindestens zu reduzieren. Dafür sind sie sogar bereit, Unannehmlichkeiten und Einschränkungen in der Auswahl hinzunehmen. Dieser aufgrund von ineffektivem Reputationsmanagement ausbleibende Absatz kommt der Konkurrenz zugute – ein niedriger Brand Trust Factor geht also stets mit unausgeschöpften Potenzialen einher. Wer zudem nicht über die Ressourcen eines Big Players verfügt, ist umso mehr auf einen guten Ruf angewiesen.
Engagement macht krisensicher: Teflon-Strategie
Ein Beispiel für eine Marke, die für verantwortungsvolles Handeln bekannt ist, ist Ben & Jerry’s. Der Eiscremehersteller rühmt sich mit Fairtrade-zertifizierten Zutaten, verantwortungsvoller Produktion und umfangreichem sozialen Engagement. Das Ergebnis: Kunden sind bereit, einen Preis für das Produkt zu bezahlen, der in dieser Höhe nicht von Konkurrenzmarken durchzusetzen wäre. Diese müssen die liegengelassenen Reputationspotenziale durch kostenintensive Marketingkampagnen und eine kompetitive Preispolitik kompensieren. Der große Vorteil erfolgreichen Reputationsmanagements: Ist ein hohes Maß an Vertrauen erst einmal aufgebaut, schützt es das Unternehmen auch gegen eventuelle Krisen. Selbst bei Skandalen attestiert die Öffentlichkeit dem Unternehmen gute Intentionen, sodass Umsatzeinbrüche häufig abgewendet oder signifikant abgeschwächt werden können.
Der schwedische Möbelgigant IKEA verfolgte lange Zeit die sogenannte Teflon-Strategie. Dabei realisierte das Unternehmen einen breit gefächerten Maßnahmen-Mix an Nachhaltigkeits- und Naturschutzprojekten, bewarb das Engagement jedoch zunächst nicht prominent. Kam es in den Folgejahren zu einem kleineren Skandal – etwa dem Vorwurf, lebend gerupfte Federn in Kissen zu verwenden – konnte die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit auf eines der Projekte verweisen und so glaubwürdig die Bemühungen für verantwortliches Handeln nachweisen.
Reputationsverfall schon vor Shitstorm
Es muss dabei nicht erst zum Shitstorm kommen, damit sich schlechte Reputation in Form ausbleibender, unsichtbarer Absatzpotenziale manifestiert. Schon ein stetig schleichender, stiller Reputationsverfall kann sich bemerkbar machen. Er kann dadurch sogar bedrohlicher ausfallen als tatsächliche Shitstorms, bei denen man als Begleiteffekt zumindest eine Steigerung der öffentlichen Markenwahrnehmung feststellen und diese für sich nutzen kann. Polarisierende Themen lösen zudem meist Unterstützer-Effekte aus, infolge welcher segmentierte Zielgruppen sich auf die Seite des im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Unternehmens schlagen. Nike nutzte dieses Phänomen zuletzt sogar gezielt aus: Das Unternehmen setzte den in den USA wegen seiner Proteste gegen Polizeigewalt kontrovers diskutierten Football-Spieler Colin Kaepernick in einer Werbekampagne ein. Es folgte ein Shitstorm von Seiten der Kaepernick-Gegner, in einem viralen Video wurde ein Nike-Turnschuh verbrannt. Diejenigen, die Kaepernick’s Engagement unterstützten, stellten sich hingegen aktiv hinter die Marke – so gewann Nike durch die Kampagne mehr Neukunden hinzu, als es verlor.
Ruf einzelner Personen überträgt sich
Auch die persönliche Reputation der mit dem Unternehmen assoziierten Personen kann von entscheidender Bedeutung sein. Negative Berichterstattung ist nicht nur ein persönliches Ärgernis, sondern hat vor allem das Potenzial, Geldgeber und Kooperationspartner abzuschrecken. Gleiches gilt für Talente, die erwägen, sich abwerben zu lassen. Bei kleinen Unternehmen, deren Spitze aus nur einer Person besteht, wirken sich die Konsequenzen solcher personeller Kommunikations-Gaus umso schwerwiegender aus.
Reputation ist bares Geld wert
Mangelhaftes Reputationsmanagement kann sich also auf fast alle kritischen Segmente des Unternehmens auswirken – von direkten Verkaufszahlen bis hin zur Personalakquise oder dem Umgang mit Investoren. Nicht immer sind die Konsequenzen offensichtlich oder aufwandsarm zu analysieren. Aus diesem Grund sollte stets in (pro-)aktives Reputationsmanagement investiert werden: Das Brand Image bleibt ein elementares Asset jedes erfolgreichen Unternehmens.